Huari und Chimú: Ihre Reichsbildungen

Huari und Chimú: Ihre Reichsbildungen
Huari und Chimú: Ihre Reichsbildungen
 
Ab 600 n. Chr. griffen im gesamten Gebiet der Zentralanden große Veränderungen um sich, denn ökologische Katastrophen (Überschwemmungen an der Küste, Dürreperioden im Hochland) bewirkten den Zusammenbruch der regionalen Kulturen. Dieses kulturelle Vakuum ermöglichte Huari im Hochland die erste Reichsbildung des alten Peru. Zur Zeit seiner größten Ausdehnung erstreckte sich der Einfluss von Huari im Landesinneren von Cajamarca im Norden bis zum Apurimacbecken im Süden, dazu kamen die südliche und mittlere Küste sowie in geringerem Ausmaß auch die nördliche Küste. Die Hauptstadt Huari, etwa 25 km nördlich vom heutigen Ayacucho, war einst eine Stadt mit 20 000 bis 30 000 Einwohnern, die eine zum Teil geplante Struktur erkennen lässt. Sie bestand aus ummauerten Stadtvierteln mit mehrstöckigen Bauten, mit Plätzen und Wohnhäusern und war von einem ausgeklügelten System von Wasserleitungen und Zisternen durchzogen.
 
Drei besondere Faktoren waren für die Expansion von Huari maßgebend: die weitgehende Unabhängigkeit von natürlichen Umweltbedingungen durch besondere landwirtschaftliche Techniken wie etwa Ackerbauterrassen auf den steilen Berghängen und weit verzweigte Kanalsysteme zur Bewässerung; die militärische Expansion mit der Anlage von Festungen und Straßen für Truppen; die säkularisierte Reichsideologie auf der religiösen Basis des zeremoniellen Zentrums Tiahuanaco südlich des Titicacasees. Insbesondere die neuen landwirtschaftlichen Methoden verschafften Huari den entscheidenden Vorteil, da das Hochland der Gefahr von Dürreperioden besonders stark ausgesetzt war. Rasch und weit verbreiteten sich diese Kenntnisse im Andengebiet. Der Technologietransfer bewirkte gleichzeitig auch eine Übernahme von anderen Huari-Kulturelementen oder des »Huari way of life«. Dieser manifestierte sich unter anderem in den Gründungen von Städten beziehungsweise in der Umstrukturierung von bereits bestehenden urbanen Zonen an der Küste (Pacatnamú, Cajamarquilla) und im Hochland (Viracocha Pampa, Pikillaqta), die nach dem Vorbild der Stadt Huari umgestaltet wurden.
 
Die eindrucksvollsten Belege der Verbreitung von Huari-Kulturgütern liefern die Keramiken und Gewebe der südlichen und mittleren Küste, wo es zwischen Nazca beziehungsweise Ancón und Huari zu einem ausgesprochenen Mischstil kam, der die religiösen Grundlagen und damit das ideologische Fundament von Huari zeigt. So treten auf den Geweben und Tongefäßen der Huari-Kultur häufig jene Motive auf, die man vom Sonnentor von Tiahuanaco kennt. Ebenso sind auf den Textilien in manchmal uniformer Manier Muster ausgeführt, die noch immer ihren Ursprung von Tiahuanaco erkennen lassen. Doch erwecken die Motive oft den Eindruck, als seien sie aufgrund ihrer schematischen Ausführung ihres eigentlichen Sinngehalts entledigt und verkörperten lediglich den Reichsstil von Huari.
 
Nach dem Ende des Huari-Reiches um 1000 n. Chr. entstand an der nördlichen Küste des heutigen Peru im ehemaligen Gebiet des Moche-Reiches das Königreich der Chimú, in dem Elemente der Moche-Kultur weiterlebten. Zur Zeit seiner größten Ausdehnung erstreckte sich das Reich über eine Distanz von rund 1000 km von Tumbes im Norden bis fast nach Lima im Süden, ehe es um 1470 von den Inka erobert wurde. Die Hauptstadt des Reiches war das in der Nähe von Trujillo im Mochetal gelegene Chan Chan mit einer Gesamtfläche von ungefähr 24 km² und etwa 30 000 Einwohnern. Das eigentliche Zentrum der Stadt mit seiner monumentalen Architektur aus luftgetrockneten Lehmziegeln ist annähernd 6 km² groß; palastartige Anlagen mit bis zu 12 m hohen Umfassungsmauern sind teilweise mit reliefierten Friesen aus Tierfiguren und geometrischen Ornamenten verziert. Innerhalb der Paläste, die als Residenzen der Chimú-Herrscher erbaut wurden, sind zahlreiche Höfe, Kammern und Gänge angeordnet; dazu kommen Bestattungsplattformen mit den Gräbern der Herrscher. In den bescheideneren Vierteln der einfachen Bevölkerung fanden sich zahlreiche Zeugnisse der Handwerkskunst, insbesondere der Metallurgie, der Weberei und der Holzschnitzerei.
 
Als Lebenserhaltungssystem der Stadt dienten über hundert Brunnen, mit deren reichlich vorhandenem Grundwasser die umliegenden Felder bewässert und die Bevölkerung versorgt werden konnten. Die ökonomische Basis der Chimú bildete die gut organisierte Agrarwirtschaft; mithilfe eines weit verzweigten Netzes von Bewässerungskanälen war der großflächige Anbau von Nahrungs- und Nutzpflanzen gewährleistet. Die künstlichen Bewässerungsanlagen erreichten gewaltige Dimensionen — beispielsweise der La-Cumbre-Kanal mit 70 km Länge — und verbanden mehrere Täler durch Kanäle miteinander. Meeresfischerei und überregionaler Handel ergänzten die landwirtschaftlichen Produkte. Während Textilien, Federarbeiten, Holzschnitzereien und auch Metallarbeiten der Chimú vom hohen Niveau des Kunsthandwerks zeugen, fiel die Keramik einem deutlichen Qualitätsverlust anheim. Meist monochrome, schwarze Tongefäße, die mithilfe von Modeln in Serie hergestellt wurden, belegen eine echte Industrieproduktion, die sich noch heute in den Depots der Museen widerspiegelt.
 
Dr. Peter Kann
 
 
Die Indianer. Kulturen und Geschichte. Band 2: Münzel, Mark: Mittel- und Südamerika. Von Yucatán bis Feuerland. München 51992.
 Lavallée, Danièle und Lumbrerars, Luis Guillermo: Die Andenvölker. Von den frühen Kulturen bis zu den Inka. Aus dem Französischen und Spanischen. München 1986.

Universal-Lexikon. 2012.

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  • Chimú — Chimụ́   [tʃ ], Indianer des vorkolumbischen Peru, die an der Nordküste Perus um 1200 ein bedeutendes Reich errichteten. Es erstreckte sich über 900 km von Tumbes im Norden bis Paramonga im S. Erst 1463 wurde es von einem Inkaheer unter Tupac… …   Universal-Lexikon

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